Die nationalen Minderheiten in Litauen


Geschichte von Litauen – Start

Litauen im 13.–18. Jahrhundert
Wirtschaftlich-politische Entwicklung
Die Anfänge der multikulturellen Geschichte
Das kulturelle Leben

Litauen im 19. Jahrhundert
Der Verwaltungsapparat Litauens
Der Verwaltungsapparat von Litauen Teil II.
Der Widerstand
Die Geschichte der Zivilgesellschaft
Die Geschichte der Zivilgesellschaft Teil II.

Die Republik Litauen (1918–1940)
Wirtschaft, Politik und Kultur
Die nationalen Minderheiten in Litauen
Der Untergang der litauischen Republik

Krieg und Nachkriegszeit in Litauen
Wirtschaft und kulturelles Leben
Die Anpassung

Die Wiederherstellung der Republik Litauen

Nach der Volkszählung von 1923 und unter Einbeziehung der Zählung im Memelland von 1925 machten die Litauer 80% der Bevölkerung Litauens aus. Die danach mit 7,1% zahlenmäßig größte und durch ihre Rolle in der Wirtschaft Litauens besonders wichtige Gruppe war die jüdische nationale Minderheit. Obwohl die Positionen der Litauer während der Unabhängigkeitsperiode in allen Wirtschaftszweigen gestärkt werden konnten, waren Ende der dreißiger Jahre 40% der Industrie, 54% des Binnenhandels, 20% des Exporthandels und 40% des Importhandels in jüdischer Hand.
Mehr als ein Drittel der freien Berufe (wie Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten) wurden von Juden ausgeübt. Die politische Elite Litauens verstand sehr gut die Bedeutung der jüdischen Unterstützung bei der Wiederherstellung der Unabhängigkeit. Als Gegenleistung erhielten die Juden eine weitgehende nationale Autonomie, die durch Gesetze in der Verfassung manifestiert wurden. Nirgendwo anders in Europa wurde den Juden eine derartige Autonomie in ihren kulturellen, sozialen, Bildungs-, Religions- und anderen Angelegenheiten verliehen wie hier. Doch die Verleihung dieses besonderen Status geschah nicht aufgrund der prinzipiellen Einstellung der politischen Elite Litauens, sondern aufgrund der Notwendigkeit, die Unterstützung dieser Volksgruppe in der Anfangsetappe der Staatsentwicklung zu sichern. Deshalb wurde schon 1923, als sich die Tendenz zur liberalen und demokratischen Entwicklung abschwächte, die Autonomie der Juden wieder eingeengt und später ganz abgeschafft, nur ihre kulturelle Unabhängigkeit blieb erhalten.
Ungeachtet langer Kommunikationserfahrungen lebten Litauer und Juden in zwei sich nicht berührenden Welten. Die geistige Entfremdung, die die Menschen in Kategorien teilte, bereitete bald Probleme. Während der Unabhängigkeitsperiode wurde Antisemitismus nie zur offiziellen Politik. Es gab keine die Juden diskriminierenden Gesetze, es gab auch keine derart großen und grausamen Pogrome wie zum Beispiel im nachbarschaftlichen Polen, doch der Antisemitismus existierte natürlich als Erscheinung. Meist verbreitete er sich in den Schichten der jungen litauischen Bourgeoisie und der radikalen Nationalisten. Insbesondere eskalierte die Diskussion über die „unrechtmäßige“ Dominanz der Juden in der Wirtschaft des Landes. Als Litauen den demokratischen Entwicklungsweg verließ, wurde der Antisemitismus stärker und organisierter. Große Auswirkungen hatte auch die große ungezügelte antisemitische Kampagne Hitlers in Deutschland. Zum Glück waren weder der Staatspräsident Smetona noch der Anführer der jungen Nationalisten Augustinas Voldemaras Antisemiten. Dieser Umstand hat viel dazu beigetragen, dass der Antisemitismus begrenzt blieb und es nicht zugelassen wurde, dass er seine schrecklichsten Formen annahm.
Als eine nationale Minderheit mit zweifelhafter Loyalität galten auch die Polen, die bis zum Herbst 1939 nur 3% der Bevölkerung, und nachdem Litauen das Vilnius- Gebiet zurückerhielt, 15% der Bevölkerung ausmachten. Staatsbeamte höchsten Ranges nannten die Polen ohne Umschweife „Diebe“ und schärfste Feinde der litauischen Nation. Natürlich hatte man das Land Polen im Kopf, doch der weitverbreitete Stereotyp des „hinterlistigen Polen“ wurde oft auf die in Litauen lebenden Polen angewendet.

Suche