Krieg und Nachkriegszeit in Litauen
In Litauen entbrannte ein halb organisierter, halb spontaner Aufstand gegen die fliehende Rote Armee, es wurde eine Deklaration zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit verabschiedet und eine Übergangsregierung gebildet. Für Deutschland war Litauen nur ein besetztes sowjetisches Territorium, darum wurde es als Generalbezirk Litauen in das „Ostland“ eingegliedert. Neben der deutschen Besatzungsverwaltung wurde eine machtlose litauische Zivilverwaltung ohne Kompetenzen gebildet.
In den drei Jahren der Okkupation haben die Nazis sehr viele Greueltaten in Litauen angerichtet, doch die größte und die entsetzlichste ist die Ermordung von 200.000 (ca. 90%) litauischen Juden. In der Geschichte Litauens wurden noch nie so systematisch in einer so kurzen Zeit so viele Einwohner vernichtet. An der Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen Leben beteiligte sich auch die Übergangsregierung, die diskriminierende Gesetze gegen die Juden verabschiedete, außerdem nahmen einige Sicherheitsbataillone an den Vernichtungsaktionen gegen die Juden teil. Nur einzelne Litauer, die ihr eigenes oder das Leben ihrer Familien aufs Spiel setzten, haben Juden geholfen.
Es ist ein Paradoxon, doch indem die Deutschen den Litauern die Aussicht auf ihre eigene Staatlichkeit nahmen, taten sie den Litauern einen Gefallen, denn deren Lust sank rapide, sich dem Erschaffen „des neuen Europa“ anzuschließen. Aufgrund der brutalen deutschen Politik entstanden bereits Ende 1941 verschiedene antifaschistische Untergrundorganisationen, die eine systematische antinazistische Propaganda betrieben und zum Scheitern der Mobilisierung in die SS-Legionen im Winter 1943 beitrugen. Solange die Front noch weit genug entfernt war, hofften die Litauer, dass die westlichen Länder die Rote Armee vor den Grenzen Litauens stoppen würden, da die Mehrheit der westlichen Länder den Beitritt der baltischen Länder zur UdSSR nicht anerkannte. Solche Hoffnungen wurden durch die von Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt am 8. August 1941 verabschiedete Atlantik- Charta genährt. Der Glaube an diese Deklaration, in der das Recht jedes Volkes auf Wiederherstellung der von den Aggressoren geraubten Unabhängigkeit bekräftigt wurde, verschwand auch nicht, als im Sommer 1944 die Rote Armee Litauen zu „befreien“ begann. Man hoffte darauf, dass die westlichen Demokratien nach Kriegsende Stalin zwingen würden, sich aus den besetzten Ländern zurückzuziehen. Doch Stalin behielt nicht nur alle Territorien, die er sich im geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt 1939-1940 gesichert hatte, sondern kolonisierte auch das ganze Mittelosteuropa.
Der Wille der in den Flammen des Krieges untergegangenen Staaten, aus ihrer Asche aufzuerstehen, wurde mißachtet und fügsame Polizeiregimes installiert. Litauen, Lettland und Estland fanden sich bereits ohne den Deckmantel der angeblichen Staatlichkeit in der Situation der am meisten Benachteiligten wieder. Dieses Mandat erhielt Stalin von den Alliierten bereits vor dem Ende des Krieges auf der Jalta-Konferenz, die zum Symbol der Nachkriegsteilung Europas wurde.
In Litauen entstand nach dem Krieg ein spontaner Widerstandskampf, der große Ausmaße annahm und bis 1953 dauerte. Man könnte denken, dass dies ein unverantwortliches Abenteuer war, welches zahlreiche Opfer forderte (in den Wäldern fielen ca. 20 000 Partisanen) und keine Aussicht auf Erfolg hatte. Doch es ist das Schicksal der Besiegten, dass ihnen im Nachhinein die Fehleinschätzung ihrer Situation vorgeworfen wird.
Man muss aber auch akzeptieren, dass auf der einen Seite die Widerstandsbewegung sehr brutal erstickt wurde, jedoch auf der anderen Seite auch die Widerstandskämpfer sinnlose und durch nichts zu rechtfertigende Brutalität nicht vermeiden konnten. Aus späteren Untersuchungen wird deutlich, dass die Mehrheit der durch die Hand des Widerstandes getöteten Menschen nicht aktive Funktionäre der sowjetischen Macht oder deren Anhänger waren, sondern einfache Bauern, Dorfbewohner und Bewohner von Kleinstädten.
Seit dem Winter 1945 fuhren erneut Züge mit Deportierten in Richtung Osten. Die Statistik zeigt, dass in der Nachkriegszeit, bis zum Herbst 1953, insgesamt 34 Deportationen von Bewohnern Litauens stattfanden und mehr als 110 000 Menschen in die Tiefen der Sowjetunion deportiert wurden. Die Deportationen wurden kaltblütig geplant, indem man Listen nach aus Moskau übermittelten Quoten aufstellte und die Zahl der Waggons und Lastwagen vorsah und festlegte, wie viele und welche Gegenstände mitgenommen werden durften und wem das konfiszierte Vermögen zufiel. Offiziell nannte man dies den Kampf gegen Anhänger der Partisanen (nach sowjetischen Terminologie – Banditen) und Großbauern (buožės). Erst nach dem Tode Stalins, mit Beginn des politischen Tauwetters, musste die Sowjetmacht sogar selbst eingestehen, dass es „Übertreibungen“ und Verletzungen des „sozialistischen Rechts“ gegeben hatte.
Entstehung der polnischen ethnischen Minderheit in Litauen
Mit der Gründung des jagiellonischen Reiches Polen-Litauen (europäische Dynastie, die von 1386 bis 1572 die polnische Könige und die Großfürsten von Litauen stellte) liessen sich viele Polen im Gebiet des heutigen südöstlichen Litauen, der heutigen Westhälfte von Weißrussland und dem heutigen westlichen Drittel der Ukraine, außerdem in Nordmähren (Tschechien) und der nördlichen Slowakei nieder.
Aufgrund der Teilungen von Polen zwischen 1772 und 1795 kam der größte Teil unter russische Herrschaft. Mit dem Frieden von Riga 1921 bekam das wiedererstandene Polen fast die Hälfte der durch die Teilung an Russland abgetretenen Gebiete zurück. Doch schon 1939 verlor Polen die Gebiete erneut durch den Hitler-Stalin-Pakt und endgültig 1945 durch den mit der Sowjetunion geschlossenen Grenzvertrag. Die meisten dort lebenden Polen wurden anschließend nach Polen umgesiedelt. Die verbliebenen Polen haben sich zu fast zwei Dritteln an Litauer, Weißrussen und Ukrainer assimiliert. Inzwischen werden sie aber als nationale Minderheiten anerkannt.
Die polnische Minderheit lebt heute überwiegend im östlichen Teil von Litauen. Besonders in der Hauptstadt Vilnius und in der Umgebung. Vertreten werden sie u. a. durch den Bund der Polen in Litauen (polnisch: Zwiazek Polaków na Litwie). Der Kurier Wileński (deutsch: Vilniusser Kurier) ist eine in Vilnius erscheinende polnischsprachige Tageszeitung. Nasz Czas (deutsch: Unsere Zeit) eine in Vilnius herausgegebene polnischsprachige Wochenzeitung und mit Znad Wilii (deutsch: Von der Neris) sendet auch ein polnischsprachiger Radiosender (103.8 FM) aus der litauischen Hauptstadt bis in die angrenzenden Gebiete von Weißrussland. Es existieren noch viele weitere polnische Organisationen und Institutionen in Litauen. Zum Beispiel haben polnische Kinder die Auswahl unter mehreren polnischen Schulen.