Wirtschaft und kulturelles Leben


Geschichte von Litauen – Start

Litauen im 13.–18. Jahrhundert
Wirtschaftlich-politische Entwicklung
Die Anfänge der multikulturellen Geschichte
Das kulturelle Leben

Litauen im 19. Jahrhundert
Der Verwaltungsapparat Litauens
Der Verwaltungsapparat von Litauen Teil II.
Der Widerstand
Die Geschichte der Zivilgesellschaft
Die Geschichte der Zivilgesellschaft Teil II.

Die Republik Litauen (1918–1940)
Wirtschaft, Politik und Kultur
Die nationalen Minderheiten in Litauen
Der Untergang der litauischen Republik

Krieg und Nachkriegszeit in Litauen
Wirtschaft und kulturelles Leben
Die Anpassung

Die Wiederherstellung der Republik Litauen

Während des halben Jahrhunderts der Zugehörigkeit zur Sowjetunion erfuhr Litauen Kollektivierung, Industrialisierung und Urbanisierung, es entstand die moderne Stadt- und Industriegesellschaft, die viel moderner war als die der Zwischenkriegsperiode in der Zeit der Unabhängigkeit. Natürlich wurde der größte Teil dieser geschaffenen Industrie nicht für die Eigenversorgung Litauens benötigt. Sie wurde künstlich geschaffen und war nach den Maßstäben der Weltwirtschaft weder konkurrenzfähig noch effizient und hatte zudem koloniale Züge, schuf jedoch die städtische Lebensweise in Litauen.
Im streng zentralisierten und vereinheitlichten Staat musste die örtliche Verwaltung die aus Moskau kommenden Direktiven zur wirtschaftlichen Entwicklung blind befolgen und konnte die Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse wenig beeinflussen. Doch im Gegensatz zu Lettland und Estland wurde die Entwicklung der Industrie dezentralisiert betrieben und nicht nur auf wenige Städte konzentriert. Auf diese Weise wurden die örtlichen Arbeitsressourcen besser genutzt und der Strom der Emigranten aus Russland verlangsamt. Dies ist eine der Hauptursachen, warum Litauen litauisch blieb. Nach der Bevölkerungszählung 1989 waren 79,9% der Bevölkerung Litauer. Sie machten in allen Städten die Mehrheit der Bevölkerung aus, außer in Visaginas, das für die Beschäftigten eines Kernkraftwerkes gebaut wurde.
Der II. Weltkrieg und die Nachkriegszeit bewirkten erhebliche demographische Veränderungen: nach dem Krieg gab es fast keine Juden mehr in Litauen, 1944 wurde das Memelland von fast allen Deutschen verlassen, 1944–1947 und 1956–1959 wurde das Gebiet Vilnius von fast 200 000 Polen verlassen. Die Litauer erlitten ebenfalls große Verluste: Tausende sind im Krieg gefallen, 1944 emigrierten 60000 in den Westen, ca. 50000 fielen im Widerstandskrieg, ca. 200 000 wurden deportiert. Doch durch die hohen Geburtenzahlen und durch die Rückkehr vieler Deportierten und Gefangenen wurde bereits 1959 wieder das Vorkriegsniveau der Bevölkerung erreicht. Trotz der klaren Russifizierungstendenzen nahm die Sowjetmacht den Litauern nicht ihre Muttersprache. Natürlich war Russisch in der Schule Pflicht, doch es war möglich, das Abitur und das Hochschulstudium in der eigenen Muttersprache zu absolvieren und die eigenen kulturellen Bedürfnisse in eigener Muttersprache zu befriedigen. Jedoch durften die Ausbildung und das kulturelle Leben den eng vorgegebenen Rahmen nicht verlassen.
Schon in den ersten Tagen der sowjetischen Okkupation begann eine ideologisierte Kulturrevolution, die sich in der Vereinheitlichung des Bildungssystems, in der Monopolisierung der Ausbildung der Staatsbeamten, in der bolschewistischen Umerziehung der Intelligenz und in anderen Kontrollhandlungen und Einschränkungen der eigenständigen Kulturentwicklung ausdrückte. Der Analphabetismus wurde beseitigt, die unentgeltliche Bildung wurde eingeführt, die achtjährige Grundschule wurde zur Pflicht – das waren zweifellos Erfolge. In der gesamten Zeit war die Bildung aber mehr ein Mittel zur Indoktrinierung des Volkes als ein Mittel zur Wissensverbreitung.
Im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg wurde das traditionelle Kulturleben Litauens zerstört und später nach dem durch Moskau bestimmten Apriori-System des „Erschaffens der sozialistischen Kultur“ geformt, streng nach dem Kanon der kommunistischer Ideologie.
Unter der übertriebenen Anwendung der „sozialistisch- realistischen“ Methode litten sogar die Kulturschaffenden, die das Regime überzeugt unterstützten. Als nach dem Tod von Stalin das politische Tauwetter begann, wurden die Grenzen des „sozialistischen Realismus“ ein wenig erweitert. Im künstlerischen Schaffen verbreitete sich die Suche nach neuen künstlerischen Formen, versteckt unter kommunistischer oder nahestehender Thematik. Wie sonderbar es einem auch erscheint, erschienen moderne W.I. Lenin darstellende Kunstwerke, Bilder, Plastiken, Theaterstücke. Bei näherer Betrachtung konnte man nicht eine linientreue Darstellung des Revolutionsführers sehen, sondern eher die Desakralisierung dieser Figur.
Als die Wachsamkeit der Ideologiewächter nachliess, kamen viele neue Stile und Genres zu der vorher totalitär kontrollierten Literatur hinzu. Auf diese Weise entstand ein apolitisches Schaffensfeld, das von den Parteiideologen und Propagandisten als verdächtig eingestuft und doch toleriert wurde. Die Schaffensinhalte blieben mehr oder weniger sowjetisch (doch viel geringer als während der Zeit des Stalinismus), es gab jedoch subtile Elemente und Anspielungen, die bei einem großen Bevölkerungsteil mit Opposition assoziiert wurden.
Das moderne, die damalige Zeit widerspiegelnde Schaffen bildete schon selbst eine Opposition gegenüber dem normativen kanonartigen „sozialistischen Realismus“ und den Prinzipien des kommunistischen Regimes. Doch nur wenige künstlerische Werke in Litauen gerieten auf den „Index“ und durften nicht veröffentlicht werden. Die Kulturschaffenden versuchten, die erlaubten Grenzen nicht zu weit zu überschreiten, die durch eine komplizierte Abstimmung der Partei- und repressiven Institutionen mit den Leitern der künstlerischen Organisationen und Kollektive ausgehandelt wurden. Das Schaffen „für die Schublade“ war nicht verbreitet.

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