Das Zentrum des Kaunas der Zwischenkriegszeit, sein urbaner und repräsentativer Mittelpunkt bildeten die Donelaitis-Straße und der „Platz der Einheit“ (Vienybes aikšte). Als man 1927 diesen ehemaligen Marktplatz umgestaltete, war der Platz als Forum des litauischen Nationalstaates angedacht. Die Hauptachse des Platzes führt vom Grab des unbekannten Soldaten der Unabhängigkeitskämpfe bis zur Freiheitsstatue. An den Seiten dieser Achse stehen die Büsten von Aktivisten der Nationalbewegung und Helden des Freiheitskampfes. Das wichtigste Gebäude des Platzes, entworfen vom Architekten Vladimir Dubenecki, ist das Historische Museum. Den Hof des Museums begrenzt eine Kanonengalerie. Neben ihr steht ein Uhrenturm. Im Turm hängt die Freiheitsglocke, ein Geschenk von in den USA lebenden Litauern an Kaunas. Sie wurde nach dem Vorbild einer historischen Reliquie der USA gegossen, der Freiheitsglocke von Philadelphia. Nachdem sie am 12. Januar 1922 nach Kaunas geschafft worden war, erklang sie zum ersten Mal am Unabhängigkeitstag desselben Jahres während der Feierlichkeiten zum 16. Februar und läutete später nur an hohen Feiertagen.

Im Jahr 1937 wurde im Uhrenturm neben der Friedensglocke ein Glockenspiel mit 35 Glocken angebracht. Den kleinen Platz hinter dem Uhrenturm rahmen die Skulpturen Sämann, Bücherträger und Schule in Litauen während des Druckverbots ein. Es ist ein Platz, mit dem die Bewahrung der nationalen Identität Litauens und die Wurzeln der Nationalbewegung geehrt werden. Die Skulpturen sind Werke der Bildhauer Bucas, Zikaras und Rimša. Die Skulptur des Sämanns erhöht nicht nur das in der Ideologie des litauischen Nationalstaats bedeutsame Ideal des Bauern, der seine Muttersprache und ethnische Identität während der langen Jahre der Fremdherrschaft bewahrt, sondern drückt auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus. Die Figur des Bücherträgers symbolisiert die für die Litauer schwere Zeit von 1863 bis 1905, als Bücher illegal aus Ostpreußen herbeigeschafft wurden, nachdem der Zar den Buchdruck in lateinischen Buchstaben verboten hatte. Die Skulptur Schule in Litauen während des Druckverbots stellt dementsprechend eine Mutter und Bäuerin dar, die einem Kind das Lesen mit Hilfe eines illegalen litauischen Buches beibringt.

Während der Ersten Litauischen Republik wurden auf dem Platz der Einheit staatliche Feiertage begangen, und die Veteranen der Unabhängigkeitskämpfe hissten jeden Abend am Uhrenturm die Nationalflagge. Zu Sowjetzeiten wurden die Denkmäler und Büsten auf dem Platz der Einheit zerstört oder entfernt.

Der Platz wurde ganz neu gestaltet und erweitert, so dass ein großer Platz auf der rechten Seite des Gebäudes des Historischen Museums entstand. Dort, wo der alte und der neue Teil des Platzes zusammentrafen, wurden die drei Steinstelen Arbeit, Frieden und Revolution aufgestellt. Konzerte mit Glockenmusik lösten die Staatsrituale von Einst im Hof des Historischen Museums ab. Im Jahre 1956 setzten der Komponist Viktoras Kuprevicius und sein Sohn Giedrius Kuprevicius das ehemalige Glockenspiel im Uhrenturm instand und begannen, regelmäßig darauf zu spielen.

In den Jahren 1988 bis 1991 wurde die Gedenkstätte des Platzes der Einheit wiederhergestellt. Nach 49 Jahren Unterbrechung erklang die Freiheitsglocke erneut am 14. Juni 1989, dem Tag der Trauer und der Hoffnung, und ehrte die Menschen, die für die Freiheit und Unabhängigkeit Litauens gestorbenen waren. Heute begehen die Kaunasser auf dem Platz der Einheit am 16. Februar feierlich den Nationalfeiertag. In der Sommersaison versammeln sie sich auf dem Platz, um dem Komponisten Giedrius Kuprevicius zuzuhören, wie er virtuos auf dem einst von ihm wieder in Gang gebrachten Glockenspiel spielt. Jeden Tag um 12 Uhr erklingt das Glockenspiel automatisch mit der Melodie des patriotischen Lieds „Ach weine nicht, Mütterchen“.

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