Alte schriftliche Quellen bezeichnen litauische Beerdigungen als Seelenfeier der Toten. Die Teilnehmer verabschieden sich mit einem rituellen Trunk und wünschen dem Toten eine gute Reise in die Ewigkeit. Zum Ritual gehörte es, zu Ehren der Göttin Amyna Bier zu vergießen, wie M. Pretorijus ausführlich beschreibt. In ganz Litauen herrscht bis heute der Brauch, jeden Teilnehmer einer Beerdigung zum Leichenschmaus einzuladen, der entweder im Haus des Toten oder in einem öffentlichen Gebäude stattfindet. Diese Sitte beruht auf der alten Tradition des „Festmahls für die Seele“, bei dem die Seele des Toten und die anderer verstorbener Angehöriger zum Essen eingeladen wurden, wobei man darum bat, dass sie die Familie und das Haus verlassen, ohne Schaden anzurichten, und göttlichen Segen einholte.

Früher wurde dieses Seelenmahl nach der Beerdigung auf dem Friedhof serviert, wie u.a. bei J. A. Brand im 18. Jahrhundert beschrieben. Da dieses Mahl für die Seelen der Familienangehörigen gedacht war, nahm kein Außenstehender daran teil. Auch wurde kein Essen mit nach Hause genommen, da dies bedeutete, den Tod mitzunehmen – jemand anderer in der Familie würde dann bald sterben.

In der Trauerzeit wurden von den Trauernden keine Taufen und Hochzeiten abgehalten, und sie nahmen nicht an Festen teil. Für Kinder, die ihre Eltern, und Frauen und Männer, die ihre Ehepartner verloren hatten, betrug die offizielle Trauerzeit ein Jahr. Bei sehr kleinen Kindern wurde allerdings nicht offen getrauert. Man glaubte, dass die Mutter nicht über den Tod ihres Kindes weinen sollte, weil die Seele sonst von den Tränen nass würde.

Heute ist die offizielle Trauerfarbe schwarz, doch noch vor 30 Jahren trugen Frauen in Trauer und bei Beerdigungen weiße Kopftücher. Auch, dass die Toten früher weiß gekleidet wurden, zeigt, dass Weiß die überlieferte Trauerfarbe war.

Nach altem Glauben endet die Beziehung zu einem Toten nicht nach der offiziellen Trauerzeit. Die Familie denkt ständig an ihre Toten, sieht sie in ihren Träumen, betet für sie, erwartet ihren Besuch bei Feiertagen und Familienfesten und pflegt die Gräber hingebungsvoll.

Friedhöfe werden in Litauen oft im hügeligen Gelände errichtet, daher ist traditionell der Ausdruck „auf dem hohen Hügel“ ein Synonym für „Friedhof“. Sie sind dicht mit Bäumen bepflanzt, die Gräber von Blumen bedeckt und mit verschiedenen Grabzeichen geschmückt. In alten Friedhöfen um Klaipeda, am kurischen Haff, in Nida und bei Rusne findet man noch besonders alte Grabmale.

Im Herbst, wenn die Feldarbeit getan war, hielten die Litauer Feiertage für die Seelen ihrer Toten ab. Alte Quellen nennen diesen Totengedenktag Iigës, während er in Ostlitauen vëlinës bzw. dziadai (Allerseelen) heißt. Nach schriftlichen Quellen wird er Ende Oktober oder Anfang November begangen. Er beruht darauf, dass nach altem Glauben die Seelen das Jenseits verlassen können, um ihre Familien zu besuchen. Daher gibt es alte Rituale zum Totengedenken. J. Dlugosh berichtet, dass in allen Regionen Litauens die Menschen Essen zu den Friedhöfen brachten und dort mehrere Tage feierten. Dabei brachten sie den Göttern Opfer, vor allem Perkûnas, dem Donnergott, der die Seelen der Toten stärken sollte. Nach A. Grauninis besuchen die Menschen Gräber von Familienmitgliedern und Freunden, brachten ihnen Milch, Met und Bier, feierten, tanzten, spielten Flötenmusik oder trommelten. Selbst die Ärmsten hielten sich daran. Ehefrauen weinten um ihre toten Männer und priesen ihre Güte und Fähigkeiten. Danach richteten sie ein Festmahl an. Vor dem Essen füllte das älteste Familienmitglied eine Schöpfkelle mit verschiedenem Getreide, Mehl und Salz, und zündete es mit einem Gruß an „all unsere Freunde“ an. Danach wurde gefeiert und gesungen.

Nachdem das Christentum sich durchgesetzt hatte, wurden die Feiern und Rituale auf den Friedhöfen verboten, doch zu Hause durchaus fortgeführt. Auch zum Christentum bekehrte Litauer hielten sich an katholischen Feiertagen oft an die von ihren Vorfahren überlieferten Traditionen. So gab es im 19. Jahrhundert im Hochland und ist Ostlitauen noch den Brauch des Seelenmahls, wenn auch mit christlichen Elementen vermischt. Man heizte das Badehaus für die Seelen der verstorbenen Familienmitglieder und brachte so viele Stühle, Hemden und Handtücher hinein, wie Seelen eingeladen waren. Nach dem Baden wurde gefeiert. Der Tisch wurde mit einem großen Festmahl gedeckt, das nur für die Seelen der Toten gedacht war und später zum Friedhof oder zur Kirche gebracht wurde.

T. Narbutas schreibt, dass Anfang des 19. Jahrhunderts in der Gegend um Lyda für die Seelen dunkle Nahrungsmittel wie Blutsuppe und Blutwurst, Pilzsuppe, verschiedene Grützen und Hüttenkäseklöße zubereitet wurden. Danach wurde das Haus gefegt, der Tisch mit einem weißen Tuch bedeckt und alle setzten sich schweigend. Nachdem das Essen aufgetragen war, sagte der Gastgeber: „Liebe Seelen unserer Toten, an die sich dieses Haus erinnert, liebe Vorfahren, Frauen und Männer, vor allem meine Großeltern, Eltern und alle, die der Tod von hier fortgeführt hat, seid willkommen zu diesem jährlichen Fest. Es sei für euch so angenehm wie uns die Erinnerung an euch.“ Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: „Setzt euch und esst so viel, wie eure Götter euch zugestehen.“ Alle warteten schweigend, bis man das Gefühl hatte, die Seelen seien gesättigt. Dann sagte der Gastgeber: „Vergebt uns, liebe Seelen. Möget ihr gesund bleiben. Lebt wohl, segnet uns und gebt diesem Haus Frieden. Geht, wohin das Schicksal euch führt, und denkt daran, wenn ihr über die Schwelle tretet, den Hof, den Garten, die Wiesen und Felder durchquert, dass ihr keinen Schaden anrichtet.“ Alle am Tisch versammelten beugten den Kopf und sagten: „Hier ist keine, hier ist keine Seele.“ Dann trug die Gastgeberin das Essen ab, wendete das Tischtuch, trug das Essen wieder auf und nach einem Tischgebet begann das Festmahl für die Lebenden.

Nach Einführung des Christentums wurden die vorher wochenlangen Feiern auf zwei Tage verkürzt. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts glaubte man, dass in der Nacht vom ersten zum zweiten November die Seelen der Toten zur Erde zurückkehrten, in der Kirche beteten und ihre Familien besuchten. Daher wurden am Abend vor Allerseelen Fenster und Türen geöffnet, damit die Seelen ungehindert passieren konnten, und Haus und Badehaus geheizt, damit sie es warm hatten. Hunde wurden eingesperrt, damit die Seelen sicher eintreten konnten, scharfe Gegenstände weggeräumt, damit sie sich nicht verletzten. Die Gegenwart von Seelen zeigte sich im Raschen vom trockenen Laub, knarzenden Bäumen oder Türen, spritzendem Wasser und aufloderndem Feuer. Man vermied es, draußen herumzulaufen, um die Seelen nicht zu stören. Die Asche wurde nicht ausgekehrt, damit sie den Seelen nicht in die Augen geriet, kein Wasser ausgeschüttet, um sie nicht versehentlich zu treffen. Die Kinder durften nicht spielen und mussten sich ruhig verhalten. Man hielt es für gefährlich, an diesem Tag zu reisen oder nachts das Haus zu verlassen, auch Tiere ließ man nicht draußen, weil die Seelen ihnen sonst womöglich geschadet hätten.

Vor Allerseelen wurden die Friedhöfe aufgeräumt und geschmückt, und man besuchte an diesem Feiertag die Gräber von Verwandten, zündete Kerzen an und betete für sie. Auch der Toten, die in fremden Ländern begraben waren, wurde gedacht. Am Abend versammelte sich die Familie am Tisch, betete und aß schweigend. Wenn ein Bissen zu Boden fiel, ließ man ihn liegen für die Seelen, die nicht eingeladen worden waren. Das Essen blieb über Nacht auf dem Tisch stehen und wurde am nächsten Tag an Bettler verteilt, die man für Mittelsmänner zwischen den Seelen der Toten und den Lebenden hielt. Dieser Glaube hat sich bis heute gehalten; die Litauer spenden an Allerseelen und anderen Gedenktagen Nahrungsmittel und Geld an Bettler, denen sie dabei die Namen ihrer Toten mitteilen.

Noch heute finden sich Familien an Allerseelen zusammen, um die Gräber ihrer Angehörigen zu besuchen und sie mit Blumen, Kränzen und Kerzen zu schmücken. In Kirchen finden Gedenkmessen statt, und Hauptbestandteil des Feiertags ist das Festmahl im Kreise der Familie, bei dem der Toten gedacht wird. Auch die Gräber von berühmten Litauern werden an diesem Tag besucht und geschmückt. Allerseelen ist ein Tag des Friedens, der Einheit, der inneren Einkehr und des Gedenkens. Auch wer sich dem Ursprung dieser Tradition nicht bewusst ist, führt sie doch so aus, wie seine Eltern es schon taten. Wenn die letzten Blätter von den Bäumen fallen, denken alle Menschen an die hohen Hügel, selbst wenn es unbewusst geschieht.

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