Seit alters her sind es in Litauen die Frauen, die das Liedgut hüten und neue Lieder kreieren, daher überrascht es nicht, dass viele den weiblichen Standpunkt wiedergeben. Die Texte sind lyrische, aber selten epische Erzählungen, in denen sich Monologe und Dialoge abwechseln und viele Metaphern und mythologische Symbole vorkommen. Die häufige Verwendung der Verkleinerungsform gibt den Liedern eine besondere Sanftheit und Innigkeit. Sie handeln von wenigen, einfachen Charakteren wie der Mutter, dem Mädchen, dem Pflüger, dem Schnitter usw. Zeit und Ort der Handlung werden normalerweise nur vage beschrieben, zum Beispiel als „im Elternhaus“, „über dem weiten Meer“, „im grünen Wald“ oder „in den Bergen“. Zwischen den einzelnen Liedern gibt es verschiedene Parallelen, so werden zum Beispiel oft Menschen durch Elemente aus der Natur repräsentiert: die Mutter durch die Sonne oder einen Lindenbaum, der Vater durch den Mond oder eine Eiche usw.

In Litauen werden alle fünf Jahre weltweit beispiellose nationale Gesangs- und Tanzfeste veranstaltet. (c) llkc.lt

In Litauen werden alle fünf Jahre weltweit beispiellose nationale Gesangs- und Tanzfeste veranstaltet. (c) llkc.lt

Viele der Lieder waren mit bestimmten Zeiten oder Handlungen untrennbar verbunden. Selbst heute noch würde man auf großes Erstaunen stoßen, wenn man eine Frau auf dem Land darum bäte, mitten im Winter ein Lied zur Roggenernte zu singen. Darauf begründet sich auch die Vielfalt litauischer Liedthemen. Es gibt Lieder für die Arbeit, zum Kalenderjahr, zur Hochzeit und Taufe, für Kinder, zum Feiern, über frühere Kriege und vieles mehr. Andere Lieder wiederum hatten keine rituelle oder traditionelle Funktion und wurden zu jedem beliebigen Zeitpunkt gesungen. Man unterteilt sie thematisch in Jugendlieder, Liebeslieder und Familienlieder.

Früher kam es oft vor, dass eine Sängerin zum Beispiel ein Wiegenlied improvisierte (das sie nicht einmal als solches bezeichnet hätte) und im nächsten Moment die Melodie so verfeinerte, dass sie den Text dominierte und sogar die Betonungen verschob. Bei Zusammenkünften sang man normalerweise im Chor, oft ein- oder zweistimmig. In den neueren und populäreren zweistimmigen Liedern folgt die zweite Stimme der ersten, die von einer einzelnen Person oder einer Gruppe gesungen wird. Die zweite Stimme liegt normalerweise eine Terz, manchmal auch eine Quint oder Quart unter der Hauptmelodie, sie folgt ihr also als Beistand in der Tonika, Dominante und Subdominante (TDS nach der funktionalen Harmonielehre).

Einige Liedthemen findet man in ganz Litauen. Dazu gehören die Hochzeitslieder, die landesweit am populärsten sind. Manche von ihnen haben über 1.000 aufgezeichnete Varianten. Auch Kinder- und Feierlieder sowie Stücke über die Jugend, die Liebe oder die Familie sind landesweit beliebt. Im Allgemeinen unterscheiden sich jedoch die Themen und Gesangstechniken nach den verschiedenen Liedtypen und ethnischen Regionen. Nachfolgend die regionalen Unterschiede im Liedgut.

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